Autor: Sandra Geissler

Die euphorische Stunde

Heute Morgen kroch ich in aller unchristlicher Frühe diesem dritten Januartag entgegen, der sich wenig freundlich und einladend zeigte, wahrscheinlich war er auch noch müde. Ich erweckte Kinder zum Leben, eine wundersame Leistung biblischen Ausmaßes, nötigte Pausenbrote in Dosen und den Hund nach Draußen. Ich erinnerte an Fahrkarten, Schlüssel und verarztete eine lädierte Hand und einen lädierten Kopf. Vor der Haustür finsterste Schwärze. „Kein Wunder!“, maulte ich mitten hinein in`s schönste Durcheinander, „kein Wunder, dass Neujahrsvorsätze die erste Woche nicht überleben. Von wegen Euphorie des Anfangs!“ Ein Zwölfjähriger auf der Suche nach seinem zweiten Schuh erklärte, dass es sich bei ihm allerhöchstens um eine euphorische Stunde, nämlich von Mitternacht bis ein Uhr morgens, handeln würde. Euphorische Stunden sind großartig. Meistens handelt es sich dabei um die Stunden, in denen Leben geschenkt wird. Die Geburtsstunde eines Kindes. Der Beginn einer Liebe. Der Start eines neuen Projekts. Das Erwachen eines Traumes. Die Geburtsstunde eines neuen Jahres voller Möglichkeiten und Aussichten. Etwas Neues beginnt, es liegt ein Zauber darin, will wachsen und bestaunt werden, erfüllt Herzen mit Dankbarkeit …

Die nervige Wichteltür

Alle Jahre wieder beginnt sich das Advents- und Weihnachtskarussell zu drehen, nimmt langsam an Fahrt auf, dreht sich immer schneller, um schließlich rund um den 26. Dezember mit quietschenden Bremsen zum Stehen zu kommen. Dann plumpsen ermattete Eltern und müde Kinder in die Sofaritzen. Das rasante Weihnachtskarusell Wenn es gut gelaufen ist, spüren sie so etwas wie satte, heitere Zufriedenheit. Vielleicht ist ihnen auch ein wenig übel, nicht nur vom vielen Süßkram, sondern auch wegen der rasanten Fahrt. In einer handelsüblichen Familie mit großen und kleinen Menschen lässt sich das Karussell kaum aufhalten. Zum normalen Alltags- und Schulwahnsinn gesellen sich Weihnachtsfeiern von Schulen, Kindergärten und sämtlichen Vereinen. Das ein oder andere Vorspielen oder Vortanzen darf nicht fehlen. Plätzchen backen, Adventskalender befüllen, Geschenke besorgen, verpacken, verschicken, Weihnachtsmärkte besuchen und besinnlich werden, eine hübsche Weihnachtsbücherkiste bereithalten und Berge von Nahrungsmitteln heranschaffen, es soll ja keiner hungern, über die Feiertage. Und Weihnachtskarten und Wunschzettel und Mathe schreiben. Alle Jahre wieder ist das eigentlich wahnsinnig aber eigentlich auch wunderschön, vorausgesetzt das Karussell beginnt sich nicht in Überschallgeschwindigkeit zu drehen. …

Hallo dunkelgrauer November

Pünktlich zum ersten November eines jeden Jahres frage ich mich, woher der November wohl weiß, dass seine Zeit jetzt gekommen ist. Kein anderer Monat liefert so zuverlässig, was von ihm erwartet wird. Tiefhängende Nebelschwaden, dunkelgrauer Nieselregen und Abenddämmerung kurz nach dem Mittagessen. Das Jahr biegt langsam auf die Zielgerade ein und knipst dabei erstmal das Licht aus. In der Frühe springt hier morgens keiner mehr voll Leichtigkeit und Energie aus dem Bett und aufs Rad. Jeder ringt um ein allerletztes Minütchen und verlässt nur schweren Herzens das warme Daheim in die nebeltrübe Dunkelheit. Allerseelen, Totensonntag und Volkstrauertag sind auch nicht dazu angetan ein wenig ausgelassene Heiterkeit ins nasskalte Dämmerlicht zu bringen. Plötzlich erscheint es gar nicht abwegig, diesem ganzen Trübsal ein Schnippchen zu schlagen und einfach das Licht wieder anzuknipsen. Das lässt sich tatsächlich ganz einfach und relativ unkompliziert bewerkstelligen! Man muss nur die Feierfreude, das Lichterfunkeln, den Plätzchenduft und die Dominosteine aus dem Dezember herüberziehen, den letzten Monat des Jahres und all seine Besonderheiten so weit aufblasen, dass der November fast aus dem Kalender …

Oktober: Erntedank und heutige Kostproben

Mein Name ist Sandra Geissler und ich lebe mit meinem Mann, unseren fünf Kindern und HündinCara in Nierstein am Rhein. Ich bin kath. Diplomtheologin und Pastoralreferentin, doch zur Zeit gehört mein Herz meiner Familie und guten Wörtern, gesprochenen, geschriebenen und solchen, die ich selbst schreiben darf. Mehr von mir gibt es auf 7geisslein.com zu lesen.   Draußen ist goldigstes Oktoberwetter. Warm leuchtende Sonnenstrahlen spinksen durch die ersten bunten Blätter. Wenn du schlau bist, kannst du dir unterwegs gratis die Taschen vollmachen, nur bücken musst du dich nach Nüssen, Kastanien und Hagebutten. Noch besser du lässt bücken, damit kannst du kleine Sammlerherzen und emsige Krämerseelen sehr froh machen. Endgültig und unübersehbar hat der Herbst Einzug gehalten. Der Oktober ist traditionell der Monat, in dem es an der Zeit ist „Danke!“ für die Ernte zu sagen. Manche zelebrieren diesen Dank in Bierzelten und auf Festwiesen, andere gehen in die Kirche und feiern Erntedank, du kannst natürlich auch beides machen, das eine schließt das andere keinesfalls aus. Im Oktober bin ich immer ein wenig neidisch auf all die …