Alltagsdinge, zum nachdenken 2
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Warum lässt Gott das zu? Was Wunder und Heilung für mich bedeuten.

Ich sitze im Abschiedsgottesdienst der Pfarrerin Britta Taddiken der Thomaskirche in Leipzig, soll über sie eine Reportage schreiben. Es wird einer der bewegendsten Gottesdienste, die ich je erlebt habe. Und auch eine der besten Predigten, die ich je gehört habe. Als diese endet, springen 1000 Gottesdienstbesucher von ihren Sitzen auf und klatschen. Die Pfarrerin bekommt Standing Ovations. Und genauso gut war die Predigt tatsächlich. Genau das war angebracht. Die Zuhörer weinen vor Rührung und ihre Worte klingen so lange nach, dass ich einen Tag später, als ich mit ihr telefoniere, um mit ihr ein Interview zu führen, gar nicht anders kann, als mit ihr über Theologie zu sprechen.


 

Gute Theologie ist ihr wichtig. Sie geht in den vorzeitigen Ruhestand, weil sie eine aggressive Krebserkrankung hat. Ich traue mich und frage sie, was diese Tatsache mit ihrem Glauben macht, ob sie Gott nach dem „Warum“ gefragt hat. Ich höre sie ins Telefon lächeln, sie ist kurz still. Dann sagt sie mir, dass 85% der Menschen, die zu ihr in die Seelsorge kommen, diese Frage nach dem Warum stellen und sie jedes Mal zu ihnen sagt, dass diese Frage nichts bringt, weil sie keine Antwort bekommen werden darauf, auch von Gott nicht.

Gott und Wunderheilungen

Ich schweige kurz. Als ich meine Glaubensbiografie aufgeschrieben habe, stolperte der Programmleiter meines Verlags über meine theologische Haltung zum Thema „Krankheitsheilung“. Er sagte mir, Gott würde niemals Naturgesetze außer Kraft setzen, um Wunder zu vollbringen. Würde er nicht? Mein Glaube, der von Kindheitsbeinen an pfingstlich-fundamentalistisch geprägt war, rechnete immer damit, dass Gott Wunder vollbringt. Und sind Wunder nicht per se etwas, das Naturgesetze außer Kraft setzt, bezeichnen wir sie nicht genau deshalb als Wunder? Wieso würde jemand glauben, was würde einem Menschen bringen an Gott zu glauben, wenn er nicht an Wunder und das Eingreifen Gottes glaubt? Wow. Ich war kurz vor dem Drucktermin des Buches und meine Theologie schwankte beachtlich. Was würde es mit meinem Glauben machen, wenn ich nicht mehr an Wunder glauben würde? In meiner akuten Notsituation, weil ich keine Zeit hatte, um selbst zu recherchieren, fragte ich einen bekannten Theologen, den ich sehr wertschätze, nach seiner Meinung.

„Dass Gott Naturgesetze außer Kraft setzt, finde ich als Gedanken schwierig“, sagte dieser. „Denn: Naturgesetze sind eine moderne Idee… Und es ist eine moderne Apologetik, Gott in Konkurrenz zu ihnen zu beschreiben. Ich finde eine solche Formulierung auch problematisch, denn: wenn Gott in Hiroshima und Nagasaki die Naturgesetze nicht außer Kraft setzt, wohl aber, wenn Menschen um Heilung beten, macht das einfach einen befremdlichen Eindruck. Und das ist sein Motiv, dass eine solche Apologetik für manche Menschen die Theodizeefrage unerträglich machen kann. Und das kann ich gut nachvollziehen.“

Später fragte ich meinen Programmleiter nochmal persönlich und er sagte mir, dass auch der Begriff „Naturgesetze“ für ihn ein sprachlicher Begriff sind, den wir Menschen gefunden haben. Für ihn ist Gott und all seine Eigenschaften größer als alles, was wir als Menschen überhaupt in Worte fassen könnten und auch rational zu verstehen.

Ich fand es interessant und vergrub diesen Gedanken als wichtig in meinem Gehirn, aber er befriedigte mich nicht.

 

Als ich die Pfarrerin fragte, wie sie damit umgeht, nicht geheilt worden zu sein, nannte sie mir einen Bibelvers, indem es darum geht, dass „des Gerechten Gebet viel vermag“. Und sie sagte: Da steht nicht, dass des Gerechten Gebet meine Wünsche erfüllt, sondern nur, dass es viel vermag. Gott ist kein Wunscherfüllungsautomat. Und sie sagte auch: Ich glaube an Heilung, aber Heilung bedeutet für mich nicht, gesund zu sein, sondern vielmehr „heil“ zu sein. Und das wiederum heißt, dass ich meine Situation akzeptiere und sie vor allem annehmen kann. „Ich lebe von Ostern her“, sagte sie. „Gott hat den Tod überwunden in der Auferweckung Jesu. Das ist uns in der Taufe versprochen und das bedeutet für mich, dass nichts davon, was ich erleide, das letzte Wort für mich hat. Gott ist kein Wunscherfüllungsautomat. Aber ich denke, dass wir trotz Krankheit und Verzweiflung nicht dauerhaft den Boden unter den Füßen verlieren müssen. Das ist für mich das Evangelium. Dass es keinen Ort mehr gibt, der Gottverlassen ist.“

Ich hielt die Luft an. Und spürte: Da ist meine tiefgläubige, theologisch wertvolle Antwort auf die wichtigste Frage, die Menschen in Krisensituationen an Gott haben. Ich wusste: Da, genau da in ihren Worten liegt mein kostbarster theologischer Schatz, der mich durchs Leben begleiten und festhalten wird.

 

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