Ich sitze im Zug auf dem Weg zu einer Redaktionssitzung. Schon seit Monaten freue ich mich auf diese Dienstreise. Doch beim Sachen packen überfiel mich emotional ein alter Bekannter: das elterliche Schuldgefühl – oder „Mom Guilt“, wie es im Englischen so schön heißt, die „Mutterschuld“.
Es ist das schlechte Gefühl, dass immer irgendwas oder irgendwer auf der Strecke bleibt. Die Kinder, mein Partner oder ich selbst. Der Haushalt, die Arbeit oder meine Hobbys. Beim Verteilen der eigenen begrenzten Energieressourcen und Zeit muss man zwangsläufig priorisieren.
Kollidierende Prioritäten
Nicht immer gelingt es mir, meine Prioritäten auf die Kinder zu setzen. Gestern war so ein Tag: Da ich wusste, dass ich ab dem nächsten Tag für ein paar Tage auf Dienstreise bin, wollte ich nach dem Kindergarten noch bewusst Zeit mit den Kindern verbringen. Doch zu Hause angekommen, fielen mir noch so viele Sachen ein, die noch zu erledigen waren: Haushalt, Vorbereitungen für die Reise, dringende To-Dos vor der Abfahrt. Dazu war ich müde, gestresst und genervt und wollte eigentlich nur meine Ruhe. Der daraus resultierende Wunsch, dass die Kinder sich allein beschäftigen, kollidierte mit meinem ursprünglichen Vorhaben, gemeinsam mit ihnen zu spielen. Und irgendwie wirkte sich das auf die Laune von allen aus und endete damit, dass ich meine Kinder kurz anbrüllte. Das Ergebnis, als ich abends am Bett lag: große, fette Mom Guilt. „Was bin ich für eine schlechte Mutter, wenn ich nicht mal vor einer Reise bewusst Zeit mit meinen Kindern genieße?! Wenn ich sie anbrülle, nur weil ich schlechte Laune habe?! Wieso habe ich manchmal so wenig Freude daran, stundenlang Kindergarten oder Krankenhaus zu spielen, Stapeltürme zu bauen oder Kinderbücher vorzulesen?!“ Kommen dir solche Gedanken bekannt vor? Dann willkommen im Club!
Eine Tonne schlechtes Gewissen
Genau so schuldig fühle ich mich manchmal beim Versuch, meinen beiden Kindern exakt die gleiche Menge an Liebe, Aufmerksamkeit etc. zuteilwerden zu lassen.
Das beginnt schon früh im Kindergarten: Die Krippengruppe meines Sohnes ist im Erdgeschoss, die Kindergartengruppe meiner Tochter in der ersten Etage – egal, welches Kind ich zuerst abgebe, es gibt oft Tränen, weil sich das andere benachteiligt fühlt. Gleiches gilt für die Frage, welches Kind ich beim Abholen zuerst umarme oder mit wem ich zu Hause als Erstes spiele. In 90% der Fälle fühlt sich das andere Kind zurückgesetzt. Im Moment ist das leider häufig meine Tochter, weil sie als das ältere Kind schon viel selbstständiger ist und ich sie oft einfach „machen lassen“ kann.
Das schlechte Gewissen, weil ich wieder irgendwas nicht geschafft habe oder irgendwem in meinen Augen nicht gerecht geworden bin, begleitet mich nahezu jeden Tag und lässt mich manchmal abends nicht einschlafen. Dazu immer die nagende Frage in meinem Kopf: „Bin ich eine gute Mutter? Ehefrau? Freundin? Angestellte? ….“
Dad-Guilt und gesellschaftliche Erwartungen
Laut einem Artikel der Zeit ist das Phänomen mittlerweile auch unter Vätern verbreitet – „Dad Guilt“ nennt sich das dann entsprechend. Nicht umsonst heißt es, dass man eigentlich ein ganzes Dorf zur Erziehung von Kindern braucht. Doch heute leben viele Familien relativ isoliert und die Eltern versuchen, alle Aufgaben allein zu stemmen. Doch so sehr Mama oder Papa sich auch bemüht, niemand kann alles und jedem gerecht werden.
Es sind unter anderem die gesellschaftlichen Erwartungen, die sozialen Medien, die Schnelllebigkeit und nahezu unendlichen Möglichkeiten unserer Zeit, die die Schuldgefühle befeuern. Und ja, es sind auch Mama-Blogger wie ich aktuell, die manchmal dazu beitragen. Vor allem dann, wenn sie nur das zeigen, was gut läuft und wie sie scheinbar alles perfekt unter einen Hut bekommen (und dabei auch noch perfekt gestylt aussehen). Ich bin daher ein großer Fan des zunehmenden Trends, auch unter Familienbloggern mehr Realität auf Blogs und sozialen Medien zu zeigen.
Und auch dieser Artikel soll euch, liebe von Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen geplagten Mamas und Papas, Mut machen: Ihr seid nicht allein! Wir sitzen alle zusammen im Elternboot.
Manchmal ist Mom/Dad Guilt sogar nützlich, weil sie uns helfen kann, nicht gut laufende Dinge zu sehen und zu verändern. Als permanenter Begleiter können die Schuldgefühle aber anstrengend und ungesund sein.
Deswegen ist es gut, sich darüber offen und ehrlich auszutauschen und festzustellen, dass es allen Eltern mal so geht. Niemand ist perfekt – und das ist okay so. Es wird dringend Zeit für mehr Selbstliebe, Mitgefühl und Gnade im Umgang mit uns selbst als Menschen und Eltern.
Ein paar nützliche Tipps, was gegen Mom/Dad Guilt helfen könnte, findet ihr in diesem Artikel.
Was hilft dir, mit Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen umzugehen? Schreib es gern in die Kommentare!
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