Manchmal, wenn ich zu Hause nicht mehr lernen kann, flüchte ich in eine der Universitätsbibliotheken unserer Stadt. Und da sitze ich zwischen all den Studenten, alles Mit-leidende und Mitfühlende. Eine eigene Gemeinschaft. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie voll diese Bibliotheken auch an einem Sonntag sind.
Und während ich Stunde um Stunde neben anderen fremden Menschen sitze, kann ich keine Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen. Wenn ich das möchte, kann ich nicht lernen und mal nicht das arbeiten, was ich gern arbeiten möchte.
Da ich studiere, können wir an unserem Haus uns nicht sofort alles erfüllen, was wir an Wünschen offen haben. Aber ich studiere, damit die Kinder nicht den ganzen Tag in eine Betreuung gehen müssen. Das war uns als Eltern für unsere Familie wichtig. Also verzichten wir.
Wir alle treffen Entscheidungen, die dann schlussendlich unser Leben bestimmen. Inzwischen gibt es sogar eine Krankheit unserer Gesellschaft, die nennt sich FOMO. Es ist die unsagbare Angst, etwas zu verpassen. Und so sitzen Studenten in der Bibliothek und statt zu lernen, starren sie auf die Social Media Bildschirme. Mütter versuchen, alles möglich zu machen, damit ihre Kinder keinerlei Mangel haben. Und so ersticken unsere Wohnungen und Häuser in unnötigem Ballast. Wir versuchen, Erfolg, Freundschaft, Glück und Familie unter einen Hut zu bekommen und haben trotzdem das Gefühl, etwas zu verpassen. Die Weltreise vielleicht oder vielleicht hätte das Eigenheim doch etwas größer sein können. Vielleicht hätten wir auch in die Berge ziehen können, jemand anderes heiraten sollen… Und so hetzen wir durch unser Leben. Die Antwort ist aber eigentlich ganz leicht:
Wir müssen nicht alles haben im Leben. Es reicht, dass wir sind.
Zu Leben ist schon so viel mehr als manch andere haben. Es genügt. Wer wir sind, genügt. Der Wert unseres Lebens liegt in unserem Sein und nicht in unserem Haben.
Wer durchs Leben hetzt, immer in der Angst, etwas zu verpassen, der verpasst zu leben. Man verpasst die wichtigen Momente. Das ganze Leben, das so wunderbar da liegt und das man hegen und pflegen darf, geht kaputt, wenn man permanent unzufrieden ist.
Das Leben ist nicht perfekt und ja, wir treffen falsche Entscheidungen. Aber genau deshalb ist es so wichtig, innezuhalten.
Was sind deine Werte, was ist das Wichtigste in deinem Leben? Und dann gehst du darauf zu. Schaust nicht danach, was andere machen, sondern bleibst bei dir.
Wir als Familie haben uns entschieden, dass “Zeit” unser kostbarstes Gut ist. Deshalb leben und arbeiten wir, wie wir es momentan tun. Das bedeutet aber auch, dass wir bewusst leben müssen und wir eben weder eine Weltreise machen, noch uns alles kaufen können, was wir haben wollen. (Letzteres hat aber tatsächlich etwas sehr Gutes, denn wir lernen, wie wertvoll Verzicht sein kann. Warten und Geduld ist eine wunderbare Tugend, die wir durchaus lernen dürfen.)
Wir können nicht alles haben im Leben. Manche von uns können keine Kinder bekommen. Manche haben keine gut bezahlten Jobs. Manche reisen viel, sind aber heimatlos. Manche haben keine glückliche Beziehung oder schwere Konflikte mit den Kindern. Manche von uns haben einen kranken Partner oder haben Tod nah erleben müssen. Innezuhalten und das eigene Leben und die Lebensweise zu hinterfragen ist gut. Zu hadern und das eigene Leben nicht wertzuschätzen, weil man sich permanent getrieben fühlt und unglücklich ist, weniger.
Ich wünsche dir und mir, dass wir noch mehr ankommen und genießen. Wertschätzen und lieben lernen, was uns anvertraut ist.
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