Ich hatte vier herausfordernde Wochen. Der Tod meiner Freundin, über den ich bis heute nicht sprechen oder denken kann, ohne weinen zu müssen. Dann eine Buchabgabe, die ich strecken musste und weil ich dann in Zeitnot kam, immer nachts geschrieben habe. Und direkt 2 Tage nach Abgabe, Corona. Wie das so ist, wenn der Körper sich ausruhen möchte. Nur, dass wir eine Woche später Konfirmation feiern wollten von unserer großen Tochter. Ich isolierte mich, tatsächlich und glücklicherweise steckte sich niemand an.
Über meinem Jahr 2023 stehen zwei Worte, die ich mir für das Jahr gesucht hatte. „Loslassen“ und „Zulassen“. Ich neige dazu, gern über alles die vermeintliche Kontrolle haben zu wollen. Ich denke mir ständig alle möglichen Szenarien aus, plane alles im Voraus und habe Angst vor möglichen Worst-Case-Szenarien, statt das Leben auch mal geschehen zu lassen. Statt mich voller Vertrauen fallen zu lassen, mit dem Wissen, dass ich für alles was geschehen wird, das nötige Rüstzeug in mir trage.
Und wahrscheinlich lag genau darin das Problem: Ich musste erst lernen, mir zu vertrauen. Ich bin in einer evangelikalen, in Teilen auch fundamentalistischen, Freikirche aufgewachsen. Ich lernte, vor allem Gott zu vertrauen. Der Satz: „Du kannst nichts ohne Gott.“ prägte mein Leben. Ich wolltenichts falsch machen, nicht falsch abbiegen in meinem Leben oder Gottes Plan für mein Leben verpassen. Das ging irgendwann sogar so weit, dass ich vor Lappalien wie dem richtigen Schuloutfit oder der Samstag nachmittag Verabredung betete und Gott fragte, was ich tun solle. Ich schlug die Bibel wahllos auf und versuchte aus den alten Geschichten herauszulesen, ob es für Gott okay war, wenn ich heute zum Fußballspiel gehen würde.
Schon damals erkannte ich, dass mich dieses Verhalten unselbstständig machte und ich entschied mich, mündig zu sein und zu erkennen, dass Gott mir einen Verstand gegeben und dazu befähigt hat, um eigene Entscheidungen treffen zu können.
Doch ich glaubte weiterhin, dass ich nichts ohne Gott war. Das all mein Können, meine Erfolge, ihm zuzuschreiben seien. Ich hatte nicht gelernt, dass all meine Fähigkeiten, meine Lebenserfahrung, mein Wissen, meine Herkunft, meine Freundschaften und meine Charakterstärken ein sicheres und wichtiges Richtzeug sind, um das Leben bewältigen zu können. Und das ich zusätzlich mit meinem Glauben, niemals allein bin.
In der Fastenzeit vor Ostern hatten wir einen Kalender geschenkt bekommen, den unsere mittlere Tochter begeistert jeden Tag vorlas. Jeden Sonntag gab es eine „Sonntagsfrage“. Eine lautete: „Wem vertraust du am Meisten?“ Jeder von uns antwortete darauf und mein Mann sagte: „Mir selbst.“ Mir fiel die Kinnlade herunter. Was für eine Antwort! Auf die ich nie gekommen wäre!
Ich hatte „Gott“ geantwortet und obwohl es keine falsche Antwort gab, erkannte ich darin, warum es mir so schwer fiel, das Leben geschehen zu lassen. Wenn man nur Sicherheit im Externen sucht, fühlt es sich nicht gut an, Kontrolle abzugeben.
Als ich nicht wusste, ob wir die Konfirmation feiern können würden, ließ ich los. Ich stellte keine worst-case-Szenarien auf, ich hatte keinen Plan B. Ich konnte loslassen und das Leben geschehen lassen. Und wir feierten ein tolles Fest.
Sich selbst vertrauen zu können und zu wissen, dass man Herausforderungen im Leben bewältigen kann, nennt man Selbstwirksamkeit. Und ich vermute, dass ich durch den Gott, der immer alles richtet im Leben, diese nie gelernt habe.
Selbstwirksamkeit entstand bei mir, als ich zum ersten Mal in meinem Leben durch schwerste Zeiten ging, und mich bewusst entschied, wie ich weiter leben wollte. Als ich mich scheiden ließ mit Mitte 20 und mich für meinen neuen Mann und die Schwangerschaft entschied und dann meinen Job verlor, meine Existenz, meine Identität und ich bewusst diese Schritte gegangen war. Mit dem Wissen was passieren würde und diesen ganzen Schmerz betrauerte und dann mich neu aufbaute. Langsam und viele Jahre lang. Selbstwirksamkeit wächst dann, wenn wir durch Herausforderungen gehen und diese bewältigen. Wenn wir merken, worin unsere Stärken liegen und das wir fähig sind, dieses Leben mit allen Höhen und Tiefen zu meistern.
Die letzten Wochen waren schwierig. Ich hatte und habe das Gefühl, dass mir viel über den Kopf gewachsen ist und ich mich sortieren muss, damit ich mich wieder sicher fühle in meinem Leben. Ich mag es nicht, wenn ich Aufgaben, beruflich und im Haus, hinterher renne, weil sie längst überfällig sind. Früher konnte ich nicht abschalten, mein Kopf und meine Gedanken waren ständig im negativen Stress. Doch ich habe gelernt, positiv zu denken. Wenn es besonders stressig ist, sage ich mir, dass ich mich für dieses Leben und diese Aufgabe entschieden habe und wie schön es ist, dass ich sie machen darf. Oder das die Sonne scheint. Oder das ich leben darf. Und ich genieße jede Momente, jeden Atemzug.
Vor allem seit ich so nah gesehen habe, wie schnell das Leben enden kann. Das Leben kann so kurz sein. Es ist zu kurz, um in worst-case Szenarien zu denken. Es ist zu kurz, um mich nicht zu entscheiden, das Leben in Fülle und Freude zu leben. Es ist zu kurz, um nicht zu lernen, auf mich stolz zu sein und mich selbst zu wertschätzen.