cIm Gespräch mit der christlichen Familienberaterin Daniela Albert, die sich dafür einsetzt, dass Bedürfnisse in den Familien gesehen werden. Ihr Buch “Kleine Kinder, starke Wurzeln“* gibt es überall im Buchhandel zu kaufen. Daniela hat außerdem einen “Familienglückskurs” online.
Daniela, du stehst für christliche, bindungsorientierte Erziehung. Was bedeutet Bindungsorientiert für dich?
Bindungsorientiert bedeutet für mich, dass ich mich intensiv mit der Bindungstheorie und auch den neueren, moderneren Forschungen auseinandergesetzt habe und so ein großes Wissen darüber angesammelt habe, was Menschen brauchen, um sich sicher an andere Menschen zu binden. Und dieses Wissen übersetze ich in meinem Büchern in alltagstaugliche, gut verständliche Informationen für Eltern. Bindungsorientiert bedeutet für mich, kleinen Menschen die nötige Sicherheit zu geben, die sie brauchen, um gut ins Leben zu wachsen und ihnen gleichzeitig genug Wind unter die Flügel zu pusten, damit sie selbständig werden und ins Leben fliegen können.
In einigen fundamentalistisch christlichen Kreisen spricht man immer noch davon, Kinder zu bestrafen. Es gibt angeblich sogar biblische Belege dafür, dass Kinder gezüchtigt werden sollen. Wenn Menschen die Bibel ernst und wörtlich nehmen, wie kann ich dann biblisch sagen, dass diese Haltung falsch ist?
Es gibt viele Theolog:innen, die sich sehr intensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt haben und das auch besser biblisch begründen können als ich das kann. Thorsten Dietz im Rahmen von Worthaus zum Beispiel. Ich kann als Erziehungswissenschaftlerin dazu nur sagen, dass Strafen, gerade wenn es sich um körperliche Züchtigung handelt, die Eltern-Kind Beziehung stark belasten. Kinder beginnen dadurch nicht, uns zu respektieren, sondern uns zu fürchten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns belügen und andere beziehungszerstörerische Verhaltensweisen zeigen, wird viel größer, wenn sie kein Vertrauen in uns haben können. Dazu kommt, dass Gewalt immer auch Spuren hinterlässt, und zwar in der Kinderseele. Ihr Sicherheitsgefühl und ihr Vertrauen ins Leben und in ihre Mitmenschen sinken, weil sie ja erleben, dass selbst ihre engsten Bindungspersonen ihnen absichtlich Schaden zufügen. Und nicht zuletzt ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie selbst anderen gegenüber gewalttätig werden, sehr viel höher, wenn sie zu Hause Gewalt erfahren. Für mein Empfinden hat all das nichts mit christlichen Werten zu tun und auch nicht mit einem liebevollen Gott.
Wieso bestrafen wir die Kinder nicht, sind autoritär? Verweichlichen unsere Kinder auf diese Weise?
Ich frage mich ja immer, was dieses „verweichlichen“ sein soll. Ich finde „weiche“ Menschen gut. Unsere Welt hat nicht ein Problem, weil es zu viele weiche Menschen gibt, also solche, die feinfühlig sind und nachgiebig und empathisch, sondern weil es zu viele Menschen gibt, die genau das nicht sind. Jesus wird an vielen Stellen in der Bibel als sehr „weich“ dargestellt. Als jemand, der viel Mitgefühl empfindet, Tränen weint, sich um Freundschaften und Beziehungen bemüht, auch auf die Gefahr hin, enttäuscht zu werden. Als jemand, der sich nicht wehrt und niemanden verurteilt. Und trotzdem ist er gerade in dieser Sanftheit unfassbar stark.
Können wir Kinder verwöhnen?
Auch so ein schönes Wort! Verwöhnen ist immer nur dann negativ besetzt, wenn es dabei um Kindererziehung geht. Richtet sich das Wort an Erwachsene, ist es auf einmal etwas Gutes. Denk mal an Verwöhnaroma, ein Verwöhnpaket für werdende Mütter oder einen Tag im Wellness-Hotel, an dem du dich so richtig verwöhnen lassen kannst.
Aber ja – es gibt eine Art „falsches Verwöhnen“ in der Kindererziehung. Und das ist immer dann gegeben, wenn wir Kindern Dinge abnehmen, die sie eigentlich schon selbst können und auch selbst machen wollen. Wenn wir ihnen alle Steine aus dem Weg räumen wollen und ihnen nichts zutrauen. Dann gewöhnen wir ihnen Eigeninitiative ab und nehmen ihnen die wichtige Erfahrung, auch schwierigere Aufgaben selbst zu erledigen.
Was lässt christliche Familien wachsen?
Ich finde, es ist Gemeinschaft und Miteinander. Ich bin ein großer Fan von täglichen Begegnungsmomenten innerhalb der Familie, von gemeinsamen Mahlzeiten, aber auch sich wiederholenden Ritualen in Wochenrhythmus oder im Jahreskreis. Wir brauchen solche Anker, sie geben uns Halt und stellen auch sicher, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren und dass wir als Eltern wirklich an der Seite unserer Kinder stehen können und mitbekommen, wer sie sind und was sie brauchen. Unser Glaube und das Kirchenjahr können hier viele verbindende Elemente schaffen.
Wenn ich die ganze Zeit als Eltern auf die Bedürfnisse der Kinder achte, was ist dann mit meinen Bedürfnissen?
Wenn du deinen eigenen Bedürfnissen gar keinen Raum mehr gibst, wird sich das früher oder später rächen. In einem Familiensystem sind immer alle Bedürfnisse gleich wichtig, nur manchmal sind die der kleinen Menschen dringender als die der großen. Es kann und darf aber auch mal umgekehrt sein. Ich sage frisch gebackenen Müttern immer, dass sie vor einer Stillmahlzeit für sich sorgen sollen: Sie sollten auf der Toilette gewesen sein und ein großes Glas Wasser neben sich stehen haben, einen gemütlichen Ort und ihr Handy, falls es mal wieder länger dauert. Und ja – all das dürfen sie auch noch dann organisieren, wenn das Baby bereits sehr deutliche Hungersignale sendet. Ich finde das übertragbar auf alle Altersphasen. Als Erwachsene haben wir den Überblick und ein gutes Gefühl dafür, wer jetzt welches Bedürfnis gerade am besten aufschieben kann. Und manchmal ist die Frage einfach, was braucht der Rest, damit ich mir mein Bedürfnis erfüllen kann. Wenn ich bspw. eine halbe Stunde Ruhe brauche, kann ich entscheiden, dass meine Kinder jetzt für diesen Zeitraum Bildschirmzeit bekommen, wenn mir das garantiert, dass ich ungestört auf dem Sofa liegen darf. Wenn mein Partner und ich gern wieder Zweisamkeit in unserem Bett hätten, das Kind aber noch mit dort schläft, können wir gemeinsam rausfinden, was unser Kind braucht, um in seinem Zimmer zu übernachten und dürfen hier ruhig auch uns als Paar und unsere Bedürfnisse ernst nehmen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.
Wie finden wir als Eltern eigene Familienwerte, nach denen wir uns richten?
Ich finde es gut, wenn wir unsere eigene Kindheit hier reflektieren. Was hat uns gefallen, was wollen wir gern beibehalten, was ist Ballast und kann weg, was hat mal Sinn gemacht und macht vielleicht keinen mehr? Ähnlich können wir auch alles hinterfragen, was von außen kommt. Wollen wir wirklich alles so machen, wie die meisten Eltern in unserer Gemeinde oder passt das auf uns gar nicht? Was ist uns eigentlich wichtig, was macht uns glücklich, wie müssen wir unser Leben einrichten, damit es allen darin gut geht?
Wie können wir Jesus und unseren Glauben als Teil unserer Familie integrieren?
Für mich ist Glaube etwas, was ein ganz natürlicher Teil unseres Familienlebens ist, wenn es für uns Eltern ein natürlicher Teil unseres Lebens ist. Ich bin nicht der Meinung, dass es riesige Verrenkungen dafür braucht. Wenn wir mit unseren Kindern beten, wenn sie uns beten sehen oder in der Bibel lesen, dann bekommen sie das mit. Und dann auch hier wieder: kleine Rituale. Das Tischgebet, vielleicht ein Segen, wenn sie das Haus verlassen, christliche Feste, die wir in ihrer wahren Bedeutung begehen, das ganz normale und natürliche Sprechen über Jesus, all das gibt unseren Kindern schon einen Grundhalt im Glauben. Dazu finde ich es gut, wenn man es mit guten gemeindlichen Strukturen kombinieren kann. Eine nicht zu enge Gemeinde mit guter Kinder- und Jugendarbeit, in der wir alle Gleichgesinnte treffen können, ist gerade wenn es um die Festigung des Glaubens geht, Gold wert.
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