Hin und wieder wählt das Leben eine härtere Gangart und schmeißt dir unvermittelt ein paar Knüppel zwischen die Beine. So ergeht es wohl jedem dann und wann und so erging es auch mir in den letzten Monaten. Ich war müde, erschöpft und in Trauer um einen lieben Menschen und um die Zeit, die wir miteinander hatten. Und um die, die wir nicht mehr miteinander haben würden.
Rote Lichtpunkte
An einem Samstagvormittag, der ziemlich genau auf den Tiefpunkt meiner persönlichen Verfassung fiel, fuhr ich mit einigen Freundinnen in eine wunderschöne Gärtnerei, die nicht nur allerlei aus der Kategorie “nutzlos, aber formschön” und leckeres Frühstück verkauft, sondern vor allem auch die herrlichsten Pflanzen. Ein zauberhafter Ort. Wir frühstückten ausgiebig und dann entschloss ich mich zum Kauf einer großen Mohnpflanze. Ich liebe Klatschmohn, denn er tüpfelt nicht nur Wiesen und Wegränder rot, sondern macht dir auch unversehens gute Laune. Zu Hause pflanzten wir den Mohn ins Beet, ein außerordentlich prächtiges Exemplar, und dann wartete ich. Schließlich musste ich eines frühen Morgens einen lauten spitzen Schrei des Entzückens ausstoße. Die erste Blüte hatte sich geöffnet und sie war atemberaubend schön. Als hätte jemand viel Mühe und Sorgfalt darauf verwandt, diese zarte Blüte aus feinstem Seidenpapier zu falten. Nicht nur meine Mohnblume blühte, nein überall ploppten plötzlich die roten Lichtpunkte auf und wann immer ich sie sah und sehe, muss ich lächeln. Du darfst sie natürlich nicht pflücken, nach Hause tragen und in Vasen stellen, um sie für dich zu behalten. Du kannst nur kurz innehalten und dich von ihrer vergänglichen, zarten Schönheit erfreuen lassen. Sonst geht sie unversehens kaputt und wirft all ihre Blütenblätter ab. Ach, wie sehr waren mir ausgerechnet Mohnblumen ein Trost in diesen für mich dunklen Tagen.
Ein trotziges Ja
Dann begannen die Ferien und wir fuhren in die Normandie. Die Normandie, dessen war ich mir nicht bewusst, verwandelt sich im Frühsommer in ein Meer aus roten Mohnblumen, sie wachsen quasi aus jeder Maurerritze, an den Straßenrändern und auf jeder Wiese. Du verstehst umgehend, warum Monet gar nicht anders konnte, als sie zu malen. Es gibt viele Wiesen, aber es gibt auch viele Hinweisschilder und Gedenktafeln. Sie erinnern an die unzähligen Gefallenen des ersten Weltkrieges und an den D-day, der Tag, an dem unzählige junge Männer ihr Leben für die Freiheit verloren. Genau im Frühsommer, in beiden Kriegen, zwischen all diesen Mohnblumen. Ich lernte, dass aus diesem Grund die Mohnblume zum Symbol des 1. Weltkrieges wurde. Auf dem geschundenen Land wuchs nicht mehr viel, aber der Mohn blühte, zart, filigran und doch unverwüstlich. Er wuchs wild auf den Gräbern, ein trotziges Ja zum Leben. Aus diesem Grund steckt man sich am Gedenktag für die Gefallenen in England eine künstliche Mohnblume ans Revers. Sie sind zum Symbol der Hoffnung und des Lebens geworden. In der christlichen Bildsprache ist die Mohnblume ein Zeichen für Jesus Christus, denn ihre schwarze Mitte ist kreuzförmig und das Rot der Blüte steht für die Auferstehung und, ja, genau, Leben! Ich hatte mich ohne mein Wissen von einer Blume trösten lassen, die für so viele Menschen Trost und Hoffnungszeichen ist.
Leider konnten wir Monets berühmten Garten nicht besuchen, denn es gab keine Karten mehr. Ich hätte so gerne seine Mohnblumen gesehen. Nach unserer Rückkehr ging ich früh morgens um sechs in unseren Garten. Im Beet war ein Meer aus rotem Mohn explodiert. Also wenn du eine siehst, dann halt kurz inne und lasse dich erfreuen. Was immer dich bedrückt, du darfst Hoffnung haben.