Seit drei Wochen bin ich nun aushäusig berufstätig. Nicht, dass mir vorher langweilig gewesen wäre, aber es war spürbar an der Zeit für etwas Neues.
Missliches Schulsystem
So fahre ich nun jeden Tag in die Schule und stehe mir nichts dir nichts auf der anderen Seite. In den vergangenen 11 Jahre war die Schule schon sehr präsent in unserem Leben, genau von dem Tag an, als unser Erstgeborener seine Schultüte in Richtung Mainzelmännchen- Klasse schleppte. Mit nunmehr fünf schulpflichtigen Kindern beherrsche ich die ganze Klaviatur der Lernapparatur vom ersten krakeligen Schwungübungen bis hin zum Latinum. Ich habe mir vereint mit meinen Kindern unzählige Male die Haare gerauft im Angesicht von rätselhaften Physikhausaufgaben, garstigen Mathelehrerinnen und hanebüchenen Stundenplänen. Ich sah Verzweiflungstränen auf Workbook-Seiten tropfen, lernte und lerne alle zwei Jahre das Bruchrechnen neu und überzeugte die Skeptiker im Haus von der Notwendigkeit phrygische in mixolydische Tonleiter zu verwandeln- ohne je selbst daran zu glauben. Schule ist ein System, auf das es sich trefflich schimpfen lässt. Vor allem wenn du nicht freiwillig hingehst. Vor allem wenn du Elternteil schulpflichtiger Kinder bist. Ach, hätte man mir doch einen Euro gespendet für jedes „Spinnen die?“, „Das kann ja wohl nicht so schwer sein?!“, „Lehrer müsste man sein…!“- diese Familie hätte für immer ausgesorgt.
Ich bin Lehrerin
Jetzt stehe ich also auf der anderen Seite und das ist eine bemerkenswerte Erfahrung. Es ist spannend in einem Lehrerzimmer zu sitzen und zuzuhören, wie Kolleginnen und Kollegen sich Gedanken machen, beraten und überlegen, bis hierher hat noch keiner die Füße auf den Tisch gelegt. Ich habe auch noch keinen gehört, der sagte: „Ich bin gekommen, um sie zu knechten!“ Mich verfolgt die Unterrichtsplanung bis in den Schlaf, vielleicht, weil es nach langer Zeit ungeübt ist, vielleicht aber auch, weil ich es ordentlich und interessant machen will. Ich habe eine große Familie und bin Trubel gewohnt. Aber 90 Minuten am Stück mit 31 pubertierenden Achtklässlern ist nichts für Zartbesaitete, so viel ist sicher. Weil ich als digitale Vollkatastrophe in einer volldigitalisierten Schule gelandet bin brauche ich viele Erklärungen und Hilfe. Ich hole sie mir direkt bei den Schülern, denn die wissen Bescheid, aber auch bei einem Organisationsteam, das nicht müde wird, mich auf den richtigen Pfad zu setzen, wenn ich mich auf all den Plattformen wieder heillos verlaufen habe. Das Team findet sich in einem Raum, der an die Hightech-Base eines Spezialkommandos erinnert. Sie schieben Stunden und Räume und Ersatz für Erkrankte, planen Kursarbeiten für tausend Leute und verlieren trotzdem die gute Laune nicht. Offensichtlich ist es tatsächlich schwer eine große Schule mit all ihren Menschen zu organisieren und dabei alles zu bedenken, was zu bedenken ist. Sieht man von außen halt nicht.
Es hat keine drei Wochen gedauert und mein Herz weitet sich um dicke Pakete voller Verständnis für die andere Seite.
Stell dir mal vor, wie es wäre, wenn jeder und jede sich zumindest in Gedanken mal auf die andere Seite stellen würde. Auf die der Pflegenden, auf die der Servierenden, der Versorgenden, der Verwaltungsbeamten und die der Bahnangestellten. In den Schuhen derer ein paar Schritte gehen, die wir nicht verstehen. Stell dir mal vor, was das für eine Welt wäre.
Titelfoto von Karolina Grobowska via pexels.com
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