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Wirst du wieder fröhlich, Mama?: Wenn ein Elternteil an Depression leidet.

Lisa-Maria lebt mit Mann und zwei Kindern in Chemnitz. Sie ist Psychologin, Familientherapeutin und Journalistin.  Sie liebt eine gute Balance zwischen Familienzeit und Auszeit für sich selbst, Zeit zum Schreiben, Musik machen, Lesen, Nähen, Städtetrips und das Kaufen von Second Hand Kleidung. Und sie hat ein Kinderbuch geschrieben.

Wie sieht ein Leben für Kinder aus, in denen einer der Eltern unter Depressionen leiden?

Das Leben der Kinder hängt sehr davon ab, wie stark die Depression ausgeprägt ist und wie groß das unterstützende soziale Umfeld der Familie ist. Das Erziehungsverhalten der Eltern wird durch die Erkrankung oft negativ beeinflusst. Ein Mangel an Zuwendung und Betreuung ist manchmal die Folge. Die Kinder müssen viel zu früh Verantwortung übernehmen und ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen. Der Familienalltag wird eingeschränkt, wenn ein Elternteil aufgrund einer Depression nicht so leistungsfähig ist und zum Beispiel weniger mit den Kindern spielen oder unternehmen kann, als diese es wollen oder brauchen. Häufig ist es so, dass die Kinder nicht verstehen, was mit Mama oder Papa los ist. Das führt zu Verunsicherung und Angst. Depression ist keine sichtbare Erkrankung wie ein gebrochenes Bein oder eine Erkältung. Dann kommen Zweifel hoch, ob das „traurige“ Elternteil das Kind nicht mehr liebt. Oder der Gedanke, dass das Kind selbst an der Erkrankung schuld ist, weil es zum Beispiel nicht oft genug auf die Eltern gehört oder sein Zimmer aufgeräumt hat. Mit dem Umfeld darüber zu reden, ist meist schwierig, die Kinder schämen sich häufig für die Erkrankung des Elternteils. Dadurch isolieren sie sich teilweise von ihren Freunden oder geraten in Loyalitätskonflikte. Und auch negative Gefühle wie Wut gehören dazu, lösen aber in den Kindern selbst oft Scham aus. Zum Beispiel, wenn Mama oder Papa zum geplanten Familienausflug doch nicht mitkommen, weil das zu schwierig ist.

Was ist die Herausforderung für die betroffenen Mütter?

Betroffene stehen vor mehreren Herausforderungen. Sie müssen zum einen mit den Symptomen der Erkrankung selbst umgehen lernen. Dazu gehören Antriebslosigkeit, Energieverlust, negative Gedanken bis hin zum Selbstmordwunsch, Schlafstörungen und einiges mehr. Alles Dinge, die im meist stressigen und herausfordernden Familienalltag eigentlich nicht gebraucht werden. Zum anderen werden Betroffene mit dem Stigma konfrontiert, dass psychische Erkrankungen wie Depressionen oft mit sich bringen. Nicht alle Außenstehenden haben Verständnis dafür, dass Depression wirklich eine Krankheit ist und nicht nur ein Ausdruck von Motivationsmangel oder Faulheit. Doch man kann denke ich davon ausgehen, dass alle Eltern – auch depressive – ihre Kinder grundsätzlich lieben und das Beste für sie wollen. Die meisten wollen auch Zeit mit ihren Kindern verbringen oder Ausflüge machen. Wenn die Depression dem im Weg steht, müssen Betroffene nicht nur die Enttäuschung, Frustration und Wut ihrer Kinder, sondern auch das eigene schlechte Gewissen aushalten. Manche trauen sich nicht in eine Behandlung, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen, wie dem Verlust des Sorgerechts, haben, wenn ihre Krankheit öffentlich bekannt wird.

Wie können Angehörige unterstützen?

Das kann sehr individuell sein, da gibt es keine Patentlösung. Wichtig ist, da zu sein und offen über die Bedürfnisse und Wünsche mit der Familie zu kommunizieren. Angehörige können da einen Blick von außen auf das Familiensystem einnehmen. Manche Betroffenen wollen zum Beispiel oft über ihre Erkrankung reden, andere nur selten oder gar nicht. Ein ehrliches Interesse am Zustand des Betroffenen kann helfen. Es ist auch erlaubt, sein Mitgefühl oder gute Wünsche auszudrücken. Angehörige sollten es aber unbedingt vermeiden, dem Betroffenen die eigene Erkrankung erklären zu wollen, diese klein zu reden, dem Erkrankten die Schuld daran zu geben oder Ratschläge zu erteilen. Auch noch so gut gemeinte Ratschläge können eben Schläge sein.
Von vielen Betroffenen gern gesehen ist praktische Hilfe im Alltag. Das kann die Betreuung der Kinder sein, Hilfe im Haushalt, Einkaufs- oder Fahrdienste. Bei Bedarf kann man auch Hilfsangebote für die Betroffenen recherchieren oder sie zu Beratungs- und Therapieterminen begleiten.

Für die Kinder können Angehörige eine stabile Bezugs- und Vertrauensperson sein, die außerhalb des erkrankten Familiensystems steht. Sie können Ausflüge mit ihnen unternehmen, bei den Hausaufgaben helfen, zuhören und über Probleme reden. Kurzum eine relativ normale Kindheit trotz der schwierigen Situation zu Hause ermöglichen.
Wichtig ist, dass die Angehörigen bei aller Unterstützung auch sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse nicht vergessen. Sie dürfen trotzdem noch glücklich sein, Hobbys nachgehen und ein eigenes Leben führen. Das gilt übrigens auch für den gesunden Elternteil!

Was brauchen Kinder, die betroffen sind?

Kinder brauchen eine stabile Bezugsperson, die ihnen zuhört, wenn sie über die Probleme zu Hause reden wollen, die sie stärkt, Aktivitäten mit ihnen unternimmt, ihnen die Angst nimmt und Hoffnung auf Besserung vermittelt. Es sollte ihnen trotz allem so weit wie möglich eine normale Kindheit entsprechend ihrer Bedürfnisse ermöglicht werden, wo sie Freunde treffen oder Hobbys nachgehen. Die Kinder dürfen glücklich sein – auch wenn es Mama oder Papa zu Hause gerade nicht sind.
Übrigens: Wenn im sozialen Umfeld der Familie keine unterstützende Bezugsperson zur Verfügung steht, gibt es bundesweit Programme, die Paten für Kinder psychisch kranker Eltern vermitteln, welche die Funktion der Bezugsperson für die Kinder übernehmen.
Feste Tagesstrukturen und Rituale wie gemeinsame Mahlzeiten oder Zu-Bett-Geh-Rituale vermitteln Sicherheit im aktuell etwas unsicheren und durchgerüttelten Familienalltag.
Viele Kinder freuen sich zudem, wenn sie zu Hause mithelfen oder dem Betroffenen eine Freude machen dürfen. Zum Beispiel durch ein selbstgemaltes Bild, einen schönen Blumenstrauß oder eine Tasse Tee. Das stärkt die Selbstwirksamkeit und das Selbstbewusstsein der Kinder.
Hilfreich kann auch der Besuch einer Selbsthilfe- und Austauschgruppe für die Kinder sein. Dort lernen sie, dass sie nicht allein sind und können sich mit anderen Kindern in einer ähnlichen Situation austauschen. Die Krankheit sollte innerhalb und außerhalb der Familie kein Tabuthema sein.
Die altersgerechte Aufklärung über die Erkrankung fördert das Verständnis der Kinder dafür, was mit Mama oder Papa los ist. Das ist auch Anliegen meines Buches. Und schließlich müssen sie ganz grundlegend wichtige Wahrheiten vermittelt bekommen: Sie sind geliebt, sie sind nicht schuld an der Depression und sie sind nicht verantwortlich dafür, Mama oder Papa zu heilen. Das ist Sache der Erwachsenen, die sich darum kümmern.

Wie kann man Depression kindgerecht erklären?

Das ist abhängig vom Alter der Kinder. Für kleinere Kinder eignen sich eher Vergleiche. Zum Beispiel: „Weißt du noch, als du mal Fieber hattest und du nur im Bett bleiben wolltest? Bei Mama ist es gerade so ähnlich, nur dass man die Krankheit nicht von außen sieht. Da ist eher ihr Herz traurig.“ Auch Bilder wie „Mamas schwarze Wolke“ oder „Papas trauriger Rucksack“ verstehen die Kinder leichter. Älteren Kindern kann man hingegen schon erklären, wie die Krankheit heißt und dass die Depression der Grund ist, warum Mama oder Papa gerade so oft sehr traurig sind und keine Lust auf Unternehmungen haben. Wichtig ist immer, dass die Kinder wissen, dass sie geliebt und nicht schuld an der Erkrankung sind. Negative Gefühle wie Wut oder Traurigkeit dürfen ihren Raum in Gesprächen haben. Vor allem ältere Kinder kann man auch fragen, wie es ihnen mit der Krankheit von Mama oder Papa geht und welche Veränderungen sie beim betroffenen Elternteil wahrnehmen.

Warum ein Buch über dieses ernste Thema?

Psychische Erkrankungen generell und insbesondere Depressionen sind gesellschaftlich leider noch oft ein mit Scham besetztes Tabuthema. Dabei sind sie keine Randerscheinung! Studien gehen davon aus, dass circa 15 bis 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland von einer psychischen Erkrankung betroffen sein könnte. Auf die Kinder runtergerechnet bedeutet das, dass ungefähr drei bis vier Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland mit einem psychisch kranken Elternteil aufwachsen! Die Gefahr, dass diese Kinder selber psychisch erkranken oder zumindest Auffälligkeiten zeigen, ist um ein Vielfaches erhöht.
In meiner Arbeit als Psychologin und Familientherapeutin habe ich gesehen, welche Auswirkungen psychische Erkrankungen auf ein Familiensystem und insbesondere die Kinder haben können. Mit meinem Buch möchte ich helfen, das Thema zu enttabuisieren und eine Möglichkeit bieten, einen leichteren Zugang zu finden. Das Buch soll Erwachsenen und Kindern helfen, über die Krankheit und alle damit verbundenen Herausforderungen, Gedanken und Gefühle ehrlich ins Gespräch zu kommen. Es soll ein Begleiter sein auf dem schwierigen Weg zur Besserung oder Heilung und auch Ansätze aufzeigen, wie das gelingen kann.

 

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