Ich bin Anna Koppri (39). Mit meinem Mann und inzwischen auch zwei kleinen, wilden Rabauken lebe ich in Berlin. Dass ich heute mit den Kindern im Kleingarten buddeln, Eis essen und Spielplätze unsicher machen kann, ist nicht selbstverständlich und hat eine Vorgeschichte.
Kinder wünsche ich mir schon, so lange ich denken kann. Als junger Mensch hört man ja immer nur, man solle bloß gut aufpassen, nicht plötzlich schwanger zu werden. Dass schwanger werden oft ganz und gar nicht plötzlich passiert, sondern zu einem qualvollen Weg voll Hoffen, Bangen und Enttäuschung werden kann, habe ich erst später erfahren. Lange habe ich mich in meiner Not sehr allein und unverstanden gefühlt, weshalb ich später beschlossen habe, Kinderwunschgeschichten in meinem Buch “Mit oder ohne Wunschkind” * zu sammeln.
Ich würde mir wünschen, dass die Leser*innen meines Buches sich verstanden und begleitet fühlen und gleichzeitig inspiriert werden. Die Paare im Buch haben für sich letztlich alle einen guten Umgang mit dem Thema gefunden. Manche sind kinderlos geblieben, andere haben noch Kinder bekommen oder Pflegekinder aufgenommen. Allen gemeinsam ist, dass sie ihren Weg im Glauben an Gott gegangen sind, was mal eine größere und mal eine kleinere Rolle in ihrem Erleben spielt. Neben Betroffenen ist das Buch auch für Menschen, die andere im unerfüllten Kinderwunsch begleiten oder besser verstehen wollen. Zudem soll es eine weitere Stimme für ein Thema sein, das, verglichen mit der Anzahl an Paaren die davon betroffen sind, noch lange nicht genug Beachtung in der Gesellschaft findet.
Mai 2014:
Schon seitdem ich ein kleines Mädchen war, erfüllt mich die große
Sehnsucht, einmal Mutter zu sein. Wenn mich jemand fragte, was ich vor meinem Tod noch erleben möchte, sagte ich: „Mein eigenes Kind im Arm halten.“
Ich war schon immer fasziniert von dem Gedanken, dass ein
Menschlein in mir heranwächst und ich als Frau die Möglichkeit
habe, die Grenzerfahrung einer Geburt zu erleben. Ein Freund
nannte mich manchmal „die Mutter ohne Kind“, weil ich scheinbar eine natürliche Mütterlichkeit ausstrahle, wenn ich mit Kindern zusammen bin.
Jetzt, mit Anfang dreißig, versuchen mein Mann und ich schon
monatelang, schwanger zu werden. In unseren Flitterwochen
haben wir noch überlegt, dass es doch schön wäre, wenn das Kind
im Sommer Geburtstag habe, weshalb wir ein Jahr nach der Hochzeit im Herbst mit der Familienplanung beginnen wollten.
Doch langsam wird mir schmerzlich bewusst, dass ich diese vermeintliche Familienplanung alles andere als selbst in der Hand habe.
Jeder Zyklus zieht sich schier endlos in die Länge, mir kommt es
vor, als würde ich seit Jahren warten. Immer wieder diese Gefühlsachterbahn von Hoffen und Warten, meinen Körper ganz genau zu
beobachten, jedes kleinste Zipperlein auf eine mögliche Schwangerschaft hin im Internet zu recherchieren, und dann, beim Einsetzen
der Periode, falle ich in ein Loch. Ich muss die Hoffnung für diesen Monat loslassen – wieder 28 Tage, die sich vergeblich anfühlen.
Mein Kinderwunsch bestimmt mittlerweile mein ganzes Denken,
und innerlich definiere ich mich über den empfundenen Mangel.
Die Gesichter der glücklich wirkenden Mütter mit ihren stolz
zur Schau gestellten Babykutschen, die mir täglich scharenweise begegnen – selbst schuld, wenn man im kinderreichsten Stadtteil
Europas wohnt –, verziehen sich für mich zu gehässigen Fratzen.
Wortlos scheinen sie mir zu verstehen zu geben: Ich habe es geschafft, ich bin Mutter. Und du, wer bist du?
Ja, wer bin ich eigentlich? Habe ich überhaupt eine Lebensberechtigung, ohne mich fortzupflanzen? Ist es nicht mein Auftrag, fruchtbar zu sein und mich zu vermehren? Bin ich eine richtige Frau, wenn
mein Körper das nicht kann? So oder ähnlich setzen sich diese Gedankengespinste in mir fort, und ich muss mich jedes Mal zwingen, da auszusteigen.
Wenn ich Teenagermüttern oder müden, überforderten Frauen
begegne, die ihre Kinder unsanft zum Bus zerren oder anschreien,
denke ich: Warum die und nicht ich?
In meinem Freundeskreis sind gefühlt alle schwanger oder gerade Eltern geworden. Vor meinen eigenen Bemühungen konnte
ich mich mit jeder von ihnen freuen. Jetzt fällt es mir immer schwerer, schwangere Freundinnen zu besuchen oder den Einladungen zu Babypartys nachzukommen.
August 2014: Endlich schwanger
Ein Jahr lang habe ich gewartet, gebangt, so sehr gehofft, täglich zig Mal an mein erwünschtes Kind gedacht und immer wieder die Enttäuschung herunter geschluckt. Endlich die Erlösung:
Eine zweite Linie auf dem Teststreifen. Ich bin schwanger! Anstatt
Freudentänze aufzuführen, bin ich unsicher, ob alles gut geht und
warte die erste Untersuchung bei der Frauenärztin ab.
Nachdem ich sehe, dass sich die Fruchthöhle gut in der Gebärmutter eingenistet hat, bin ich erleichtert und kann mich endlich freuen. Fortan schwebe ich einige Zentimeter über dem Boden.
Mein Mann und ich malen uns die Zukunft zu dritt aus, streiten
schon über Namen, er küsst meinen Bauch und schreibt liebe Zettel und SMS mit Botschaften wie: „Ich vermisse euch.“ Ich freue
mich darauf, in ein paar Monaten aus dem Job als Sozialpädagogin auszusteigen und mich nur um meine kleine Familie kümmern zu dürfen.
Doch beim nächsten Arzttermin werde ich aus meinen Träumen gerissen: Ein kleiner Herzschlag ist zu sehen, doch der Embryo ist zu klein, hat sich zwei Wochen zu langsam entwickelt. Die
kommende Zeit ist von Bangen, Hoffen und Beten geprägt. Nun habe ich alle paar Tage Termine bei der Frauenärztin und, obwohl
das Kleine offensichtlich wächst, hellt sich ihre sorgenvolle Miene nicht auf. Das Ausstellen eines Mutterpasses verschiebt sie jedes
Mal auf den nächsten Termin.
Sie schickt mich zur Feindiagnostik. Es müsse abgeklärt werden, ob der Embryo lebensfähig sei oder besser eine Ausschabung vorgenommen werden sollte. Ich bin entsetzt. Niemals
würde ich ein kleines Wesen mit einem schlagenden Herzen töten. Ich finde, es steht allein Gott, der Leben schafft, zu, darüber zu entscheiden.
So fallen meine Gebete heute etwas anders aus. Verzweifelt, zitternd, ringend, löse ich die geballten Fäuste, mit denen ich die letzten Wochen versucht habe, das Kleine aus eigener Kraft fest-
zuhalten und halte ihm meine leeren Hände hin: „Wenn das winzige Menschlein aus irgendeinem Grund nicht lebensfähig ist, lass
es bitte schon jetzt sterben und erlöse mich von dieser furchtbaren Ungewissheit.“
Trotz der unerträglichen Situation durchströmt mich ein tiefer Frieden. Am nächsten Tag bei der Feindiagnostik sehe ich, wie schnell mein Gebet erhört wurde. Obwohl der Bildschirm riesig
ist, ist kein Herzschlag mehr zu sehen. Weinend breche ich zusammen. Einen Zentimeter ist es erst groß, unser lang ersehntes
Wunschkind, das nach wenigen Wochen zu einem Himmelskind geworden ist. Und schon beginnt mein Körper damit, es loszulassen, als habe er nur auf das Erlöschen des winzigen Herzchens gewartet. Meine Seele kommt bei diesem Tempo nicht hinterher.
Fabian und ich nehmen uns ein paar Tage frei. Trauern. Geben dem Menschlein einen Namen, schreiben Abschiedsbriefe,
lassen es ganz bewusst los und trösten uns in der Hoffnung, es bei Gott gut aufgehoben zu wissen. Ein Schmetterling fliegt in unser
Wohnzimmer und wir setzen ihn symbolisch wieder in die Freiheit. Das Leben hat sich verlangsamt. Wir machen ausgedehnte Spaziergänge, sitzen auf dem Sofa und reden, lassen den Tränen freien Lauf. Es sind die intensivsten Tage unserer gesamten bisherigen Beziehungszeit.
Zu Fabian sage ich: „Das Einzige, was mich jetzt wirklich trösten könnte, ist ein kleiner Hund!“
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