„Ich kann nicht mehr warten, Mama!“, sagt meine Tochter zu mir und meint damit: Ich möchte JETZT mit dir spielen Mama, in diesem Augenblick und nicht erst in 1,2, oder gar 5 Minuten. „Wann bist du endlich da, Mama?“, fragt sie weiter und meint damit: Wann bist du hier bei mir und wirklich für mich da? Nicht nur körperlich im selben Raum, sondern auch gedanklich anwesend? Ganz im jetzigen Augenblick und nicht schon wieder bei gestern oder morgen? Ja, wann? Und wie? Ein Text mit vielen Fragen und einigen Antwortversuchen…
Wirklich da sein, im Hier und Jetzt leben, den Augenblick achtsam wahrnehmen, mit allen Sinnen erleben und genießen – eine große Herausforderung.
Oft ertappe ich mich, wie ich gedanklich To-Do-Listen umsortiere, den Einkaufszettel im Kopf ergänze oder den nächsten Kindergeburtstag plane. Weil mein Alltag und mein Kopf übervoll sind und ich Angst habe, etwas zu vergessen oder zu verpassen – dabei verpasse ich gerade dann etwas. Nämlich das Leben, dass sich direkt im Hier und Jetzt vor meiner Nase abspielt. Das Leben, von dem ich häufig das Gefühl habe, es rast an mir vorbei und es lebt mich statt andersherum. Dabei rast es vor allem, weil ich nicht im Hier und Jetzt bin.
Leben im Wartemodus
Häufig befinde ich mich innerlich im Wartemodus. Denn ich habe manchmal das Gefühl, der normale Alltag ist vergeudete Zeit. Wenn nichts Neues passiert und ich einfach so vor mich hinlebe. Meist warte ich dann auf den (nächsten) großen Moment oder bestimmte Ereignisse, um endlich etwas zu tun und zu verändern oder um Glück und Erfüllung zu finden. Die vielen kleinen Wunder, die das normale Leben mir schenkt, nehme ich kaum wahr.
- „Wenn es wieder wärmer wird, dann fange ich endlich wieder mit Sport an für meine Bikinifigur.“
- „Wenn unser Kind erstmal geboren ist, dann haben wir alles, was wir wollten.“
- „Wenn die Kinder in den Kindergarten gehen, dann nehme ich mir wieder Zeit für mich.“
- „Wenn wir endlich einen Babysitter haben, können wir an unserer Paarbeziehung arbeiten.“
- „Wenn die Kinder groß sind, können wir endlich unsere eigenen Träume erfüllen, z.B. mehr reisen, auswandern.“
- „Wenn endlich mal weniger zu tun ist, treffe ich mich wieder mit meinen Freunden.“
- Oder eben „WENN ich dies und jenes erledigt habe, DANN spiele ich mit dir, Kind.“
Kommen dir solche Gedanken bekannt vor? Bei denen die Ampel im Kopf ständig auf Gelb steht und du weißt nicht, wann sie wieder auf grün geht und du weitermachen darfst?
Was wäre, wenn ich mal aufhören würde, mit diesem Wenn-Dann-Denken? Was würde sich dadurch ändern? Vielleicht hätte ich dann mehr das Gefühl, angekommen zu sein in meinem eigenen Leben, es aktiv in der Hand zu haben und gestalten zu können.
Alles eine Phase
Sicher, es gibt diese Phasen im Leben, da befindet man sich wie in einer Blase – zum Beispiel, wenn man krank ist und nur im Bett liegen kann und alles andere egal ist. Oder die berühmte Babyblase nach der Geburt eines Kindes, in der nur klitzekleine Füßchen und süßer Babyduft zählen.
Dann gibt es diese Phasen – vor allem als Eltern – , in denen man durchaus akzeptieren muss, das bestimmte Dinge nicht gehen. Allein als Mama verreisen, wenn man ein Stillkind hat. Als Familie quer durch die Weltgeschichte gondeln, wenn die Kinder schulpflichtig sind. Zu zweit als Paar abends tanzen gehen, wenn man keine Betreuung für das Kleinkind zu Hause hat.
Dann muss man Kompromisse machen und vielleicht auch eine Zeit lang auf Dinge verzichten oder Wünsche hintenanstellen. Ich persönlich nehme solchen Phasen jedoch auch gern als Ausrede, um mein Leben auf kompletten Wartemodus zu setzen. Nichts zu verändern, nichts Neues zu wagen. Eine Entschuldigung, meine Komfortzone nicht zu verlassen. Aber richtig glücklich bin ich damit auch nicht. Irgendeine Lösung gibt es immer, wenn man wirklich will.
Neu den Alltag genießen
Vielleicht muss ich neu lernen, einfach zu Sein und zu genießen? Stillstand auszuhalten statt immer weiter zu wollen? Schriftstellerin Pearl S. Buck sagte einmal: „Die wahre Lebenskunst besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“ Das nehme ich mir neu vor. Leben im Hier und Jetzt statt im Wartemodus. Den Alltag bewusst schätzen und genießen.
Und dann muss meine Tochter hoffentlich nicht mehr so oft sagen „Ich kann nicht mehr warten, Mama.“ Weil ich dann einfach ganz für sie da bin.
„Zu sein ist Wunder genug. Zu spüren, dass ich bin, hier, in dieser Zeit und diesem Raum, so einmalig und besonders. (…) Ich will nicht nach Wundern suchen, sondern mir bewusst machen, dass ich Wunder genug bin. (…)“ (Ulrich Schaffer)
Hier ein paar kleine Tipps, um mehr im Moment zu leben:
- Führe ein Dankbarkeitstagebuch: Notiere dir jeden Abend die Momente, Erlebnisse und Begegnungen, für die du konkret an diesem Tag dankbar bist. Dadurch lernst du, die Wunder im normalen Alltag mehr zu schätzen.
- Genieße mit allen Sinnen: Nehme an einem Sommertag bewusst die Sonne auf deiner Haut wahr, rieche an einer Blume, erfreue dich an den leuchtenden Farben deiner Kleidung, lausche dem Gezwitscher der Vögel bei einem Waldspaziergang. Die Wahrnehmung mit unseren Sinnen schärft dein Bewusstsein.
- Übe dich in Achtsamkeit: Nutze Wartemomente, zum Beispiel an der Supermarktkasse oder in der Straßenbahn, für Achtsamkeitsübungen: Atme bewusst ein und aus und konzentriere dich auf deine Atmung. Gehe mit deiner Aufmerksamkeit durch deinen Körper und spüre, wie es dir geht. Beobachte eine Weile deine Gedanken und versuche, sie nur wahrzunehmen ohne zu bewerten.
- Überlege, was dich persönlich glücklich macht und im Moment verankert: Das Ansehen eines Fotos von geliebten Menschen, ein warmes Bad in der Wanne, ein leckerer Kaffee nur für dich etc.?
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