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Hallo dunkelgrauer November

Pünktlich zum ersten November eines jeden Jahres frage ich mich, woher der November wohl weiß, dass seine Zeit jetzt gekommen ist. Kein anderer Monat liefert so zuverlässig, was von ihm erwartet wird. Tiefhängende Nebelschwaden, dunkelgrauer Nieselregen und Abenddämmerung kurz nach dem Mittagessen.

Das Jahr biegt langsam auf die Zielgerade ein und knipst dabei erstmal das Licht aus. In der Frühe springt hier morgens keiner mehr voll Leichtigkeit und Energie aus dem Bett und aufs Rad. Jeder ringt um ein allerletztes Minütchen und verlässt nur schweren Herzens das warme Daheim in die nebeltrübe Dunkelheit. Allerseelen, Totensonntag und Volkstrauertag sind auch nicht dazu angetan ein wenig ausgelassene Heiterkeit ins nasskalte Dämmerlicht zu bringen. Plötzlich erscheint es gar nicht abwegig, diesem ganzen Trübsal ein Schnippchen zu schlagen und einfach das Licht wieder anzuknipsen. Das lässt sich tatsächlich ganz einfach und relativ unkompliziert bewerkstelligen! Man muss nur die Feierfreude, das Lichterfunkeln, den Plätzchenduft und die Dominosteine aus dem Dezember herüberziehen, den letzten Monat des Jahres und all seine Besonderheiten so weit aufblasen, dass der November fast aus dem Kalender gedrängelt wird und irgendwie hinten runter plumpst. Alle deutschen Supermärkte und Geschäfte, ja das ganze Internet sind dir gerne dabei behilflich. So nachvollziehbar dieser Impuls ist, ist er auch klug?

Ein Monat um Abschied zu nehmen

Ich glaube, dass dieser vorletzte Monat des Jahres eigentlich eine fantastische Einrichtung ist, so er denn sein darf. Es ist nicht viel los, alle Schulweihnachtsfeiern, Jahresabschlusskonzerte und Vereinsfeierlichkeiten haben noch Zeit, der hitzige Sommer und der quirlige Frühherbst sind vorbei.  Nun ist Raum, um loszulassen und Abschied zunehmen, zum Erinnern und Gedenken. Nicht nur unserer Toten, sondern auch dessen, was in diesem Jahr nicht funktioniert hat, von unerfüllten Hoffnungen, von dem, was hätte sein sollen, aber nicht wurde. Wenn wir die Dunkelheit und Stille nicht künstlich erhellen und überladen, dann können wir unsere eigenen Dunkelheiten kennenlernen und unsere eigene Stimme wieder hören.

Dunkle Zeiten

Außerdem ist das Aushalten der Dunkelheit ein großartiges Übungsfeld für Menschen jeglichen Alters. Weil nämlich Menschen jeglichen Alters hin und wieder durch echte, dunkle Zeiten gehen müssen. Eine Freundschaft oder Liebe, die zerbricht, schmerzt mit drei, mit dreizehn und mit dreiundvierzig. Der Verlust eines geliebten Menschen. Einen Traum loslassen, weil man zum Mittelstürmer leider nicht geeignet ist oder zur Primaballerina oder zur Aufsichtsratsvorsitzenden. Sitzenbleiben. Scheitern. Ausgebremst werden. Jedes Menschenleben verdunkelt sich von Zeit zu Zeit, wird auf den Prüfstand gestellt und durcheinandergewirbelt, wie nasses Herbstlaub. Wohl dem, der gelernt hat, das Dunkle und das Karge auszuhalten, der weiß, dass irgendwann die Tage wieder heller werden. Wohl dem, der ein Zuhause hat, in dem ein Kerzchen brennt und eine Kanne Tee wartet. Wo auch die dunkelsten Stunden gemeinsam getragen und ertragen werden. Wohl dem, der Novembertage schätzt, weil sie ein Geschenk sind.

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